„Ausgerechnet in Rheinhessen! Das ist die Gegend, die den deutschen Wein im Ausland nachhaltig ruiniert hat.“ Vincent Klink aus „Wonnen im Wonnegau oder Die Brautschau“
JA! Ausgerechnet Rheinhessen!
Und wie es in der amüsanten Geschichte von Vincent Klink weiter beschrieben wird, geht es genau hier um ein Anbaugebiet, in dem Spitzenqualitäten wie der Riesling „G-Max“ von Klaus Peter Keller erzeugt werden, die heute auf dem internationalen Markt Preise von bis zu 2.000 € für eine Flasche erzielen! Weingeschichte haben die Spätburgunder aus Ingelheim vor dem ersten Weltkrieg geschrieben. Und jedes Jahr am 08. Juli feiert das heutige Gebiet Rheinhessen Geburtstag, seit 1816 nun schon 205 Mal.
Was gibt es zu berichten, aus der Region, die mit Autobahnen durchzogen gute Verbindungen vom dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen zum Frankfurter Flughafen schafft. Rheinschifffahrt und Hochgeschwindigkeitszüge ergänzen die Durchreisemöglichkeiten. Aber halt! Man sollte sich tatsächlich einfach mal Zeit für Rheinhessen nehmen und auf Entdeckungsreise gehen, anstelle schnellstmöglich durch die zugegebenermaßen etwas verborgenen Schönheiten zu hetzen.
Zur Lage
Für eine Übersicht unserer Weingüter aus Rheinhessen bewegen Sie einfach Ihre Maus über das Bild.
So verwirrend es auch klingt, das Weinanbaugebiet Rheinhessen gehört zum Bundesland Rheinland-Pfalz. Der Rhein begrenzt namensgebend und prägend das dreieckige Anbaugebiet an zwei Seiten von Bingen bis Mainz und dann noch südlich weiter bis nach Worms.
Eingebettet vom Hunsrück und dem Nordpfälzer Bergland, ist die mit 26.948 Hektar Rebflächen große Region geprägt von einer eher sanft geschwungenen, hügeligen Landschaft mit viel Weite.
Auch die rechtsrheinisch umgebenden Gebirgszüge von Odenwald und Taunus lassen die Wolken in den höheren Gegenden regnen und Rheinhessen bleibt niederschlagsarm mit 530 mm eines der trockensten Gebiete Mitteleuropas. Mit durchschnittlich 1970 verwöhnenden Sonnenstunden im Jahr steht es dem auf der anderen Rheinseite nur ca. 40 Kilometer entfernten Anbaugebiet Baden (Badische Bergstraße bei Weinheim) nicht viel nach.
Bei so viel Wärme und Sonne profitieren die Reben von der Bodendiversität der Region. Die reichliche Lössauflage, Mergel und Ton können das Wasser gut speichern und schützen so die tiefwurzelnden Rebstöcke vor Wasserstress. Nährstoff- und kalkreiche Böden aus verschiedenen Erdzeitaltern bilden „Gute Gründe für Rheinhessenwein“ wie in dem entsprechenden Büchlein ausführlich zu lesen ist.
Begeisterung auf den zweiten Blick
Während andere Anbaugebiete mit romantischen Blickfängen und beeindruckenden Steillagen punkten, schaut man in Rheinhessen oft über weite Felder und sehr ordentlich angelegte Rebflächen. Den höchsten Punkt in der Landschaft stellt das alternative Energie erzeugende Windrad dar. Der überwiegende Teil der Weinortschaften trägt Namen mit der Endung „heim“. Flörsheim-Dalsheim sogar im Doppelpack, um noch einmal den Bogen zu dem eingangs erwähnten Weingut Keller zu schlagen. Dort ist übrigens auch Deutschlands bester Sekthersteller beheimatet.
Was begeistert an Rheinhessen?
Kurz: Rheinhessen ist alltagstauglich, absolut zeitgemäß und gradlinig. Punkt.
Alltagstauglich:
Gutsweine und Ortsweine aus Rheinhessen sind ehrliche Weine mit einem meist sehr guten Preis-/Leistungsverhältnis.
Absolut zeitgemäß:
Qualität aus Rheinhessen
Im Jahr 2017 erstellte die Maxime Herkunft, der 70 rheinhessische Betriebe und der VDP Rheinhessen angehören, ein Leitbild über die konsequente Anwendung einer dreistufigen Klassifikation in Guts-, Orts-, und Lagenweine. Bei der Diskussion über eine nach französischem Vorbild gestaltete Klassifikation übernahm Rheinhessen schon vor Jahren die Vorreiterrolle. Die Herkunft als Maxime ist in Rheinhessen gelebter Weinbaualltag.
Damit der heutige Qualitätsstandard in Rheinhessen erreicht wurde, brauchte es wohl auch die „dunkle Seite der Weinvermarktungsgeschichte“ von undefinierbaren Massenweinen wie Liebfrauenmilch, Blue Nun und Black Tower.
Ab den 1980er Jahren gab es für die nächste Winzergeneration nur ein nach vorne schauen in Richtung Qualität. Unter dem Namen Message in a bottle vereinigten sich im Jahr 1992 eine Reihe von Jungwinzern aus dem gesamten Anbaugebiet. Gemeinsam werden seitdem Jungweine verkostet, über weinbauliche, weintechnische Fragen und Bio-Anbau, bzw. Biodynamie diskutiert. Seit 2002 sind die 24 Mitglieder als Winzer-Vereinigung öffentlich unterwegs um ihre „Qualitäts-Nachricht“ per Flasche inner- und außerhalb Rheinhessens zu verbreiten.
Aktuell stammt die Hälfte der in Rheinland-Pfalz ökologisch produzierten Weine aus Rheinhessen. Der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche in Rheinhessen liegt bei gut 11%. Nachhaltiger Weinbau zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität sind gerade bei den Jungwinzern Usus. Längst hat es sich etabliert, dass ein nachhaltiger Umgang im Weinberg die Widerstandsfähigkeit der Pflanze fördert, was letztendlich der Qualität der Weine zugutekommt.
Gradlinig:
Durch die Klassifikation bekommen Weinqualität und rheinhessisches Profil eine verbindliche, klare Einteilung. Riesling ist mit Ansage und Absicht die führende weiße Rebsorte, Tendenz weiter steigend. Insgesamt zielt die Rebsorten-Auswahl dahin, das Potenzial der Böden zu nutzen und orientiert sich nicht an Weinmoden. Neben den das Terroir widerspiegelnden weißen Sorten Silvaner und Riesling, bieten sich vielerorts gute Gründe für weiße und rote Burgundersorten.
Rebsorten, Spiegel der Weinbaugeschichte und klimatischen Veränderung
Schauen wir doch noch einmal genauer hin, was auf Löss, Sand, Lehm, Kalk, Rhyolith und Quarzit alles wächst.
Insgesamt macht der Weißweinanteil 72% aus. Besonders hervorzuheben ist der „Rote Hang“ am Rhein zwischen Nierstein und Nackenheim. Aus dem Zeitalter des Rotliegend ist hier eine Bodentypizität aus eisenhaltigem Ton-/Sandstein, die Rieslinge mit sehr eigenem Charakter hervorbringt.
Vom tonangebenden Riesling (18%) war nun schon mehrfach die Rede. Aber Rheinhessens eigentliche, weiße Königin ist für mich der Silvaner! Er ist gerade nicht „trendy“, sondern wirkt eher wie im „Dornröschenschlaf“ – nicht ganz vergessen, aber im Rampenlicht tummeln sich derzeit Riesling und die Alltagshelden Müller-Thurgau und Grauburgunder. Mit 8% Anteil an den Rebflächen schafft er es nur noch auf den vierten Platz in der Rebsorten-Liste. Rheinhessen ist aber mit 2.098 Hektar trotzdem weiterhin das größte Silvaner Anbaugebiet weltweit! Vor ca. 70 Jahren war noch die Hälfte der Anbauflächen in Rheinhessen mit Silvaner bestockt. In den 1980er Jahren wurden für die unter der Qualitätsmarke RS-Rheinhessen Silvaner produzierten, trockenen Silvaner Weine strenge Richtlinien festgelegt. Auch heute pflegen die Winzer ihre oft über 40 Jahre alten Silvaner Anlagen mit besonderem Augenmerk. Die „Silvaner Alte Reben“ bringen am richtigen Standort verlässliche gute bis sehr gute Qualitäten, fordern aber auch die Handwerkskunst des Winzers heraus!
Neben Grauburgunder werden auch Weißburgunder und Chardonnay aus der weißen Burgunderfamilie angebaut. Aromatisch wird´s mit Scheurebe, Sauvignon Blanc, Kerner. Die meist als Süßwein ausgebaute Huxelrebe wächst wie eine „übrig gebliebene Generation“ schon seit ein paar Jahrzehnten auf immerhin noch 273 Hektar.
Rheinhessen ist ganz klar ein Weißwein-Anbaugebiet. Die 28% Rotweinanteil werden in der Hauptsache von der im Anbau unkomplizierten Rebsorte Dornfelder (13%) bestimmt. Sie ist gefällig als „Everybody´s Darling“, mal fruchtig-leicht und mal intensiver und würziger ausgebaut, schmeichelt sie vielen Gaumen. In diese beliebte Richtung tendieren auch Weine aus Rebsorten wie Portugieser und Regent. Die roten Rebsorten der Burgunderfamilie sind der Spätburgunder (6%), danach Frühburgunder, St. Laurent und der Schwarzriesling (Pinot Meunier). Ist der Dornfelder eher der Rotwein für den „Alltagsschoppen“, so zeigt sich am anspruchsvollen Spätburgunder, dass Rheinhessen durchaus auch elegante und in den bevorzugten Lagen wie in Ingelheim „herrschaftliche“ Rotweine produziert.
„Guude“* - Zum guten Schluss
Rheinhessen hat den erfolgreichen Wechsel von Masse zur Klasse gut gemeistert. Es ist ein Anbaugebiet, in dem sich Visionen mit kernigem Pragmatismus und familiärer Großherzigkeit paaren. Ausdruck findet die warmherzige Art in weichen Sprachlauten, in denen der Korken für den „gude Troppe“ und der Babyschnuller nur einen einzigen Begriff brauchen: der Stobbe.
Damit mache ich jetzt auch den Beitrag „zu“ und hoffe, dass er neugierig auf Rheinhessen und seine Weine macht!